10
Jan
2009

RADICAL CINEMA - DIRECT CINEMA

RADICAL CINEMA vs. DIRECT CINEMA

Anknüpfend an den letzten Beitrag soll einleitend noch einmal kurz erläutert werden, dass sich das Radical Cinema Ende der 60er Jahre parallel aus dem Direct Cinema hervorging und vornehmlich von linken Intellektuellen getragen wurde, die politischen Gruppierungen wie der Studentenbewegung nahe standen und sich im Zuge der wachsenden Unzufriedenheit über die Berichterstattung der politischen Ereignisse formierten – vor allem gegenüber dem Fernsehen, dass in seiner Berichterstattung zunehmend auf visuelle Effekte abzielte und die politische „Botschaft“ bisweilen verwischte.
Vor allem die politisch brisanten Themen wie der Vietnamkrieg, die Bürgerrechts-, Antikriegs- und Studentenbewegung wurden von den Medien unzureichend, verzerrt oder gar nicht dokumentiert und drohten die Bewegung mit dem Stigma des politischen, ideologischen Gegners zu belegen.
So wuchs das Bedürfnis und die Bereitschaft nach Schaffung einer Gegenöffentlichkeit und alternativer Kommunikationsformen, die das Geschehen unverfälscht und authentisch wiedergeben und zum politischen Widerstand aufrufen sollten.
In der Folge wurden eine Reihe von politischen Agitations- und Dokumentationsfilmen produziert, die inhaltliche Aspekte nun in den Vordergrund stellten. Damit einher ging das Bedürfnis nach einer Weiterentwicklung des Dokumentarfilms einher, der anders als bei den Vertretern des Direct Cinema, die den beobachtenden Ansatz vertraten, wohingegen die Formensprache des Radical Cinema nun aktiv in den politischen Bewusstseinsbildungsprozess eingreifen wollte. Von daher operierten die Vertreter des Radical Cinema zwar mit den technischen Mitteln des Direct Cinema, verfolgten jedoch im Ansatz ein anderes politisches und filmästhetisches Konzept. Das Radical Cinema mischte Archivmaterial, Interviews und die asynchrone Bild- / Tonmontage.
Trotz des gemeinsamen Anspruch, Gegenöffentlichkeit herzustellen, verstanden sich die Filmemacher des Radical Cinema teilweise als Gegenströmung zum Direct Cinema, vor allem durch den unterschiedlichen Ansatz in der Verwendung filmischer Mittel und des anderen inhaltlichen Anspruchs der politischen Bewusstseinsbildung.
Charakteristisch ist, dass die Produzenten des Radical Cinema anfänglich hauptsächlich konkrete Ereignisse filmten, wie Anti-Kriegs-Demonstrationen, Campus – Streiks oder Hausbesetzungen und erst später dann eher themenorientierte Inhalte verfolgten, wie die Probleme von Immigranten, die Situation in den Gefängnissen, die Unterdrückung der Frau und die Kolonialisierung der Entwicklungsländer.
Die Filme der Radical Cinema Vertreter dienten als Werkzeug im politischen Kampf und als Informationsmittel zwischen den verschiedenen politischen Gruppen. Dementsprechend fehlte auch Namensangaben der Filmemacher im Vor- und Nachspann. Der Film sollte die gemeinschaftliche Produktion eines filmischen Kollektivs sein und eine bestimmte politischen Botschaft vermitteln; galt also nicht als die Arbeit eines einzelnen Künstlers.
Zielgruppe der filmischen Agitation waren alle gesellschaftliche Gruppen, die politische, strukturelle und kulturelle Veränderungen herbeiführen wollten – also vor allem Studenten und Bürgerrechts- und Friedensbewegungen.
Die agitatorische Funktion bestimmte zumindest noch anfänglich das ästhetische Konzept. So arbeiteten die Filmemacher häufig mit Schwarz / Weiß – Bildern und die zum Teil verwackelte Kamerabewegungen, die eine verwaschene Qualität erzeugten und durch den bewusst unprofessionellen Schnitt unterstrichen wurde. Nicht selten wurden zusätzlich einzelne Szenen in mehreren Produktionen verwendet.
Unterlegt waren die Film mit Pop – Musik und Protest – Songs, die sowohl die emotionalisierte Wirkung der Filme wie die filmische Visualisierung der Gegenkultur verstärkten.
Gerade diese agitatorische und emotionalisierende Wirkung des Radical Cinema sollte die politische Diskussionen auslösen und den Bewusstseinsbildungsprozess fördern. Alle in den 60er Jahren gedrehten Filme wiesen eine starke Polarisierungstendenz auf, ...“wie sie für die politische Rhetorik und das Weltbild der Neuen Linken zu dieser Zeit typisch waren. Bilder, die die Brutalität und die repressiven Taktiken eines korrupten Gesellschaftssystems, insbesondere gegenüber Minoritäten und Andersdenkenden, symbolhaft zum Ausdruck bringen sollen, kontrastieren mit Szenen des Widerstands, Aktivitäten der Protestbewegung und Interviews mit ihren führenden Vertretern. Da die Filme sich in erster Linie an die ‚bereits Bekehrten’ richteten, war es weniger ihre Absicht, das Publikum zu überzeugen und zu bekehren, vielmehr diente ihre ‚propaganda of confrontation’ und ihr ‚tone of moral outrage’ dazu, eine schon für die Sache gewonnene Gemeinde zum politischen Handeln zu motivieren.“

Literatur:

Mo Beyerle, Christine N. Brinckmann (Hg.), Der amerikanische Dokumentarfilm der 60er Jahre, Direct Cinema und Radical Cinema, Campus Forschung, Bd. 659, Ffm / NY (1991).

Fußnoten:
1/Vgl. Mo Beyerle, Der amerikanische Dokumentarfilm der 60er Jahre, S. 41, 2.Absatz.
2/Vgl. Mo Beyerle, Der amerikanische Dokumentarfilm der 60er Jahre, S. 43, oben.
3/Mo Beyerle, Der amerikanische Dokumentarfilm der 60er Jahre, S. 44, 2. Absatz.
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