26
Jan
2009

Es ist nicht alles Pop, was glänzt

DIE TRENDWENDE – VOM PROTEST ZUM AUSDRUCK

Als 1974 das Rolling Stones Album `It`s only rock`n roll, but I like it´ herauskommt, wird der LP-Titel programmatisch gelesen. Fast zeitgleich mit der europäischen »Tendenzwende» ergeben sich die underdogs, die auf Beggars Banquet 1968 noch die working class heroes besingen, dem Glam. Gemessenen Schritts wandeln sie auf dem LP-Cover die Marmorstufen einer Hall of Fame herunter, während ihnen Ehrenmädchen die Blumen streuen und Schalmeien von Säulenreihen geblasen werden. Von den authentischen Street Fighting Men zu den selbstironischen Halbgöttern des Rock n`Roll – der Traum von einer ästhetischen Revolte ist beerdigt.

Folgt man Peter Kemper (1), findet der Abschied von der politischen Revolte bei den Stones schon 1969 statt und kündigt sich in dem Album Let it bleed mit seiner Mischung aus Zügellosigkeit und Dekadenz der Rückzug in die Privatheit an. Der Autor erhellt zwar die musikalisch-industriellen Komplexe in der globalisierten Kulturökonomie, betrachtet „Pop“ nicht nur als die übliche Klage von der Korrumpierung durch den Markt, sondern als diskursives »Streitgeschäft«. Für sie ist Pop eine Kette kultureller Zellteilungen, bei der kein Ende abzusehen ist.


VOM AUSDRUCK ZUR MASSENKULTUR

Theorie und Praxis in der Popkultur – zwischen Kulturtheorie und Massenkultur
Die kulturelle Praxis der modernen, kapitalistischen Gesellschaft erfährt in den 1960iger Jahren Veränderungen.
Heute kann sich niemand mehr der Massenkultur entziehen; die Massenmedien und die durch sie verbreiteten Produkte, Informationen, Nachrichten etc. sind mittlerweile so umfassend verbreitet, dass auch die kritische Forschung kaum noch Distanz zur Massenkultur bewahren kann. Die Kritik neuerer Kultur richtet sich wesentlich auf die Kritik der alten Gesellschaftsstruktur. Die Massenkultur steht heute für eine kulturelle Totalität und nicht mehr für den Gegenpol, den bloßen niedrigen und niederen Abhub der wahrhaft kultivierten Hochkultur; die Hierarchisierungen der einstigen ideologischen Deutungsmuster haben sich in einem vielschichtigen Feld von Bedeutungsüberlagerungen, aber auch Sinnbeliebigkeiten verflüchtigt. Jede Beschäftigung mit Kultur ist heute selbst schon Teil der Kultur.
Hinzu kommt, dass Begriffe wie Kultur in Formen der Massenkultur, Alltagskultur, populären Kultur und dergleichen inzwischen selbst fraglich geworden sind; gerade die Komplexität der globalen Kulturindustrie erlaubt es, Konsumenteninteressen in vollständig inkompatiblen Gruppen zu organisieren, die in ihrer Erscheinungsweise nicht mehr als "Masse" beschreibbar sind – besonders in der Analyse besonderer und konkreter alltagskultureller Phänomene.

Nach Verkaufszahlen lässt sich ein Massenphänomen nicht mehr bestimmen – auch unter Teilnahme von Millionen. Die Massenveranstaltungen bzw. popkulturellen Ereignisse hinterlassen keine Spuren im kulturellen Gedächtnis. Längst haben Festivals die Größe des Woodstock - Festivals übertroffen; angeblich wichtige Schallplatten sind Bestseller gewesen – doch die Bands bleiben weitestgehend unbekannt. Viele Bands, die gelegentlich in den Charts auftauchen, bleiben auch mit besseren Platzierungen eine Nebensache in den Bilanzen der „Kulturindustrie“. Und fraglich ist, ob selbst bei Millionenerfolgen, die einigen wenigen Produktionen vorbehalten bleiben, Rückschlüsse auf Massenstrukturen und Massenpublikum möglich sind: die hysterische Masse verschwindet in der Belanglosigkeit wie zuvor das Individuum in der Masse - die Love-Parade ist nach ihrer „kulturellen Wende“ 1996, lediglich ökonomisch von Bedeutung, kulturell höchstens Gradmesser der Trostlosigkeit der Popkultur (Technokultur).
Die größten Umsätze bleiben der Volksmusik vorbehalten. Aber ist Konsum überhaupt ein verlässlicher Indikator? Es wird immer mehr Musik gehört, obwohl immer weniger Tonträger verkauft werden. Auch betriebswirtschaftlich ist die Kulturindustrie längst in der Krise.
Es handelt sich also um eine Massenkultur, die keine Massenkultur mehr ist; es geht um allgemeine Massenphänomene, die in ihrer Besonderheit jedoch keine Massencharakteristik mehr besitzen.

Adorno und Horkheimer entschieden sich bereits im Verlauf der 40iger Jahre gegen den Begriff der Massenkultur, da er unterstelle, dass es sich um eine Kultur der Massen handle; letztlich um eine quantitativ und technologisch erweiterte demokratisierte Kunst. Genau dies sei jedoch das leere Versprechen der Massenkultur, ihre Ideologie, die letztendlich die Massen verhöhnen würde, stehe den Massen fern und letztlich auch der Kultur.
Für Adorno und Horkheimer beschreibt der Begriff der „Kulturindustrie“, wie im Zuge der Kapitalisierung der sozialen und menschlichen Verhältnisse, auch die Kultur letztlich zur bloßen Ware werde – also eine Art „Konsumkultur“.
Die Universalisierung der Warenlogik, die alle Kultur ohne Rückstand verwertet, erlaubt es, die Konsumenten nicht länger in uniformen Massen zusammenzuschweißen und die Belohnung in der Befriedigung pseudo-individueller Bedürfnisse zu betäuben bzw. die Belohnung für das ausreichende Abstraktionsvermögen des Konsumenten, sich selbst vollständig als Warensubjekt zu verstehen, wonach die höchste Befriedigung im Konsum liegt.

AMBIVALENZEN DES POPDISKURSES

„Es ist nicht alles Pop, was glänzt“

"Es ist nicht mehr klar, ob wir eine Kritik an der Sprache der Konsumgesellschaft hören, ob wir die Sprache der Konsumgesellschaft konsumieren, oder ob wir die Sprache der Kritik als Sprache der Konsumgesellschaft konsumieren."(2)

Die Verunsicherung über die - nicht nur wissenschaftliche - Brauchbarkeit von Begriffen wie Alltags- oder Massenkultur drückt sich in einem neuen Schlagwort aus, das allmählich seine Spezifik verloren hat und nun zur relativ diffusen und allgemeinen Bezeichnung für verschiedene kulturelle, soziale und ästhetische Komplexe geworden ist: Popkultur, oder kurz "Pop". Statt die Kultur in Hochkultur und Massenkultur zu unterscheiden, wird nunmehr Pop in Mainstream und Subkultur geschieden. Statt Homogenität der Massenkultur steht die Popkultur unter dem Vorzeichen der Heterogenität. "Pop" ist dabei als Wort schon freundlicher, die ökonomische Verwertung der Kultur ist in den meisten Fällen zwar nicht begriffen, aber akzeptiert, weil man glaubt, innerhalb der Heterogenität der Popkultur genügend Nischen zu finden. Im Verlauf der 90iger Jahre hat die Popkultur einen eigenen, von den klassischen kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Modellen weitgehend unabhängigen Diskurs entfaltet. Dieser Diskurs verfügt nicht nur über eine eigene Sprache, sondern mittlerweile sogar über eine geschichtliche Logik.

Bei aller begrifflichen Unschärfe steht man also vor der Frage, ob die Popkultur bloße Unterhaltungskultur ist - ein spielerischer Umgang mit der Unterhaltung oder ob Pop eine neue Form der Hochkultur darstellt.
Daran hängt freilich die Frage, ob „Pop“ denn überhaupt ein systematischer Epochenbegriff darstellt – existiert „Pop“ auch als überzeitliches Phänomen?
War Massenkultur mit ihrer beständigen Abwertung konfrontiert, so drängt die Popkultur zur Aufwertung; sie repräsentiert das Bedürfnis einer neuen Elite, in der sich Besitz und Bildung warenfetischistisch verkettet haben: ihr kulturelles Kapital ist eine Ableitung ihres ökonomischen Eigentums (Generation Golf).

Literatur:

(1) Kemper Peter, Langhoff Thomas, Sonnenschein Ulrich(Hg.), »alles so schön bunt hier«. Die Geschichte der Popkultur von den Fünfzigern bis heute, Stuttgart 1999
(2) Umberto Eco, Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur, Frankfurt am Main 1986, S. 55.
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