26
Jan
2009

Es ist nicht alles Pop, was glänzt

DIE TRENDWENDE – VOM PROTEST ZUM AUSDRUCK

Als 1974 das Rolling Stones Album `It`s only rock`n roll, but I like it´ herauskommt, wird der LP-Titel programmatisch gelesen. Fast zeitgleich mit der europäischen »Tendenzwende» ergeben sich die underdogs, die auf Beggars Banquet 1968 noch die working class heroes besingen, dem Glam. Gemessenen Schritts wandeln sie auf dem LP-Cover die Marmorstufen einer Hall of Fame herunter, während ihnen Ehrenmädchen die Blumen streuen und Schalmeien von Säulenreihen geblasen werden. Von den authentischen Street Fighting Men zu den selbstironischen Halbgöttern des Rock n`Roll – der Traum von einer ästhetischen Revolte ist beerdigt.

Folgt man Peter Kemper (1), findet der Abschied von der politischen Revolte bei den Stones schon 1969 statt und kündigt sich in dem Album Let it bleed mit seiner Mischung aus Zügellosigkeit und Dekadenz der Rückzug in die Privatheit an. Der Autor erhellt zwar die musikalisch-industriellen Komplexe in der globalisierten Kulturökonomie, betrachtet „Pop“ nicht nur als die übliche Klage von der Korrumpierung durch den Markt, sondern als diskursives »Streitgeschäft«. Für sie ist Pop eine Kette kultureller Zellteilungen, bei der kein Ende abzusehen ist.


VOM AUSDRUCK ZUR MASSENKULTUR

Theorie und Praxis in der Popkultur – zwischen Kulturtheorie und Massenkultur
Die kulturelle Praxis der modernen, kapitalistischen Gesellschaft erfährt in den 1960iger Jahren Veränderungen.
Heute kann sich niemand mehr der Massenkultur entziehen; die Massenmedien und die durch sie verbreiteten Produkte, Informationen, Nachrichten etc. sind mittlerweile so umfassend verbreitet, dass auch die kritische Forschung kaum noch Distanz zur Massenkultur bewahren kann. Die Kritik neuerer Kultur richtet sich wesentlich auf die Kritik der alten Gesellschaftsstruktur. Die Massenkultur steht heute für eine kulturelle Totalität und nicht mehr für den Gegenpol, den bloßen niedrigen und niederen Abhub der wahrhaft kultivierten Hochkultur; die Hierarchisierungen der einstigen ideologischen Deutungsmuster haben sich in einem vielschichtigen Feld von Bedeutungsüberlagerungen, aber auch Sinnbeliebigkeiten verflüchtigt. Jede Beschäftigung mit Kultur ist heute selbst schon Teil der Kultur.
Hinzu kommt, dass Begriffe wie Kultur in Formen der Massenkultur, Alltagskultur, populären Kultur und dergleichen inzwischen selbst fraglich geworden sind; gerade die Komplexität der globalen Kulturindustrie erlaubt es, Konsumenteninteressen in vollständig inkompatiblen Gruppen zu organisieren, die in ihrer Erscheinungsweise nicht mehr als "Masse" beschreibbar sind – besonders in der Analyse besonderer und konkreter alltagskultureller Phänomene.

Nach Verkaufszahlen lässt sich ein Massenphänomen nicht mehr bestimmen – auch unter Teilnahme von Millionen. Die Massenveranstaltungen bzw. popkulturellen Ereignisse hinterlassen keine Spuren im kulturellen Gedächtnis. Längst haben Festivals die Größe des Woodstock - Festivals übertroffen; angeblich wichtige Schallplatten sind Bestseller gewesen – doch die Bands bleiben weitestgehend unbekannt. Viele Bands, die gelegentlich in den Charts auftauchen, bleiben auch mit besseren Platzierungen eine Nebensache in den Bilanzen der „Kulturindustrie“. Und fraglich ist, ob selbst bei Millionenerfolgen, die einigen wenigen Produktionen vorbehalten bleiben, Rückschlüsse auf Massenstrukturen und Massenpublikum möglich sind: die hysterische Masse verschwindet in der Belanglosigkeit wie zuvor das Individuum in der Masse - die Love-Parade ist nach ihrer „kulturellen Wende“ 1996, lediglich ökonomisch von Bedeutung, kulturell höchstens Gradmesser der Trostlosigkeit der Popkultur (Technokultur).
Die größten Umsätze bleiben der Volksmusik vorbehalten. Aber ist Konsum überhaupt ein verlässlicher Indikator? Es wird immer mehr Musik gehört, obwohl immer weniger Tonträger verkauft werden. Auch betriebswirtschaftlich ist die Kulturindustrie längst in der Krise.
Es handelt sich also um eine Massenkultur, die keine Massenkultur mehr ist; es geht um allgemeine Massenphänomene, die in ihrer Besonderheit jedoch keine Massencharakteristik mehr besitzen.

Adorno und Horkheimer entschieden sich bereits im Verlauf der 40iger Jahre gegen den Begriff der Massenkultur, da er unterstelle, dass es sich um eine Kultur der Massen handle; letztlich um eine quantitativ und technologisch erweiterte demokratisierte Kunst. Genau dies sei jedoch das leere Versprechen der Massenkultur, ihre Ideologie, die letztendlich die Massen verhöhnen würde, stehe den Massen fern und letztlich auch der Kultur.
Für Adorno und Horkheimer beschreibt der Begriff der „Kulturindustrie“, wie im Zuge der Kapitalisierung der sozialen und menschlichen Verhältnisse, auch die Kultur letztlich zur bloßen Ware werde – also eine Art „Konsumkultur“.
Die Universalisierung der Warenlogik, die alle Kultur ohne Rückstand verwertet, erlaubt es, die Konsumenten nicht länger in uniformen Massen zusammenzuschweißen und die Belohnung in der Befriedigung pseudo-individueller Bedürfnisse zu betäuben bzw. die Belohnung für das ausreichende Abstraktionsvermögen des Konsumenten, sich selbst vollständig als Warensubjekt zu verstehen, wonach die höchste Befriedigung im Konsum liegt.

AMBIVALENZEN DES POPDISKURSES

„Es ist nicht alles Pop, was glänzt“

"Es ist nicht mehr klar, ob wir eine Kritik an der Sprache der Konsumgesellschaft hören, ob wir die Sprache der Konsumgesellschaft konsumieren, oder ob wir die Sprache der Kritik als Sprache der Konsumgesellschaft konsumieren."(2)

Die Verunsicherung über die - nicht nur wissenschaftliche - Brauchbarkeit von Begriffen wie Alltags- oder Massenkultur drückt sich in einem neuen Schlagwort aus, das allmählich seine Spezifik verloren hat und nun zur relativ diffusen und allgemeinen Bezeichnung für verschiedene kulturelle, soziale und ästhetische Komplexe geworden ist: Popkultur, oder kurz "Pop". Statt die Kultur in Hochkultur und Massenkultur zu unterscheiden, wird nunmehr Pop in Mainstream und Subkultur geschieden. Statt Homogenität der Massenkultur steht die Popkultur unter dem Vorzeichen der Heterogenität. "Pop" ist dabei als Wort schon freundlicher, die ökonomische Verwertung der Kultur ist in den meisten Fällen zwar nicht begriffen, aber akzeptiert, weil man glaubt, innerhalb der Heterogenität der Popkultur genügend Nischen zu finden. Im Verlauf der 90iger Jahre hat die Popkultur einen eigenen, von den klassischen kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Modellen weitgehend unabhängigen Diskurs entfaltet. Dieser Diskurs verfügt nicht nur über eine eigene Sprache, sondern mittlerweile sogar über eine geschichtliche Logik.

Bei aller begrifflichen Unschärfe steht man also vor der Frage, ob die Popkultur bloße Unterhaltungskultur ist - ein spielerischer Umgang mit der Unterhaltung oder ob Pop eine neue Form der Hochkultur darstellt.
Daran hängt freilich die Frage, ob „Pop“ denn überhaupt ein systematischer Epochenbegriff darstellt – existiert „Pop“ auch als überzeitliches Phänomen?
War Massenkultur mit ihrer beständigen Abwertung konfrontiert, so drängt die Popkultur zur Aufwertung; sie repräsentiert das Bedürfnis einer neuen Elite, in der sich Besitz und Bildung warenfetischistisch verkettet haben: ihr kulturelles Kapital ist eine Ableitung ihres ökonomischen Eigentums (Generation Golf).

Literatur:

(1) Kemper Peter, Langhoff Thomas, Sonnenschein Ulrich(Hg.), »alles so schön bunt hier«. Die Geschichte der Popkultur von den Fünfzigern bis heute, Stuttgart 1999
(2) Umberto Eco, Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur, Frankfurt am Main 1986, S. 55.

17
Jan
2009

POP ART

Pop Art – eine Bewegung der sechziger Jahre oder Sammelbegriff für eine weitreichende kulturelle Bewegung?

Die Pop Art lebt in ihrer Entstehungsphase in den Großstädten und ist eine Kulturerscheinung ( wie der Pop ), die sich hauptsächlich vor dem Hintergrund der kapitalistischen technologischen und industriellen Gesellschaft entwickelt. In London und New York entstehen neue Kunstzentren der westlichen Welt, die seismographisch, modische, moderne und künstlerische Errungenschaften, Absurditäten und Grenzen der Medien- und Massengesellschaft abbilden. Die Pop Art dokumentiert damit den kulturellen Wandel der 1960er Jahre und gleichzeitig eine Kunstära, die die vielschichtigen Veränderungen des künstlerischen, gesellschaftlichen und individuellen Lebensgefühls verdeutlicht.

Um die Bedürfnisse der Konsumgesellschaft kommerziell zu verwerten, erforschen die Hersteller die Konsum- und Verhaltensgewohnheiten der Massengesellschaft und entwickeln Absatz- und Vermarktungsstrategien, die ihren Erfolg in der Anpassung an die Moden und Attitüden der Masse sehen. Diese Annäherung an den Konsumenten und die massenmediale Vermarktungsprogrammatik, wirkt sich auf den Verbraucher und dessen individuelle Verhaltensweise und letztlich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen aus. Progressive Kulturpolitik bedeutet nun unter anderem, dass jeder Kitsch lieben, Comics lesen, Cola trinken, Turnschuhe und Lederjacken tragen darf – das Triviale wird massentauglich und zum Objekt des allgemeinen Interesses - über die gesellschaftlichen Schichten hinweg salonfähig.

Die Aufwertung des Trivialen vollzieht sich auf vielen Ebenen, u.a. des Kitsch, der Souvenirs, der Images von Waren- und Verpackungsindustrie. Künstler und Kritiker umgeben sich provokant mit Pseudo – Kunst, Nostalgie und Werbesymbolen, einer Trivialkultur und den Massenmedien.
Damit erfolgt eine gewisse „Osmose“ zwischen der „etablierten Kultur“ und der „neuen Unterhaltungskultur“, die zur Folge hat, dass der Kunst- und Kulturbegriff grundsätzlich in Frage gestellt wird – und eine elementare Umstrukturierung bedeutet.

Die Bildinhalte der Pop Art sind im Alltäglichen begründet, spiegeln die „Realität“ der Zeit, forcieren und reflektieren den kulturellen Wandeln. Der offen artikulierte „Underground“ der Subkultur ist stilprägend und kunstverändernd. Eine neue künstlerische Ausdrucksweise verankert sich in diesem neunen Generationsgefühl – das unorthodoxe, provokative Verhalten, der bewusste Einsatz des Schockierenden, des Irritierenden, das Durchbrechen des Gewohnten, der Tabus und die Dekodierung der habituellen Werte – gehören zu den Merkmalen dieser Gegenkultur.
Dieser Prozess löst zeitgleich einen Prozess der Umkehrung aus, der die traditionelle Rollenverteilung neu hinterfragt. Die „Kultur – Revolution“ fordert die antiautoritäre Erziehung, die Emanzipation der Frau, neue Berufsstrukturen und den freien Umgang mit der Sexualität. Es entsteht ein neues System der Kommunikation durch Untergrundzeitungen, Fan – Magazine, Poster und Flyer.
Die Revolte vollzieht sich in einer Gesellschaft der materiellen Sättigung, des Reichtums, der Verfügbarkeit von Dingen und Menschen und führt zu veränderten Betrachtungs-, Seh- und Verhaltensgewohnheiten – zu einem neuen Objekt- und Kunstbegriff.
Traditionelle Theaterstoffe werden in bewusst in das Ambiente der aktuellen Banalität hineintransportiert, „Stoffe“ aus ihren zeitlichen Entstehungszusammenhängen herausgenommen, von konventionellen Mustern und Rastern befreit und neu vergegenwärtigt.

Künstler wie Peter Blake, Richard Hamilton und Andy Warhol entwerfen Schallplattencover für diverse Pop – Gruppen. Blake und Hamilton für die Beatles und Warhol für Velvet Underground und die Rolling Stones. Die Massenmedien fördern die Internationalisierung der Darstellungsstile und Ausdrucksformen sowie eine globale Verbreitung von Symbolen, Zeichen und Künsten. Parallel dazu steigert die starke Anteilnahme der Kunst am Trivialen auch die Anzahl derer, die Kunst produzieren wollen. Diese Entwicklung verbreitet auch Slogans wie „Kunst ist Leben“ und „Jeder ist Künstler“ – Beuys und Warhol – und
Auffassungen, die auch Lehrprogramme an Kunstakademien popularisieren. Es folgen intermediale und interdisziplinäre Themenausstellungen. Denn mit der Umkehrung der Werte, der Relativierung von Hierarchien und Infragestellung der Grenzen zwischen Kunst und Leben, Trivialität und Kunst geht eine neue Präsentationsweise einher.

Die Pop Art verwirklicht unter Künstlern wie Robert Rauschenberg und Jasper Johns eine „gesellschaftliche Relevanz“ und eine neue konzeptionelle Strategie. Sie setzen der künstlerischen Subjektivität des Expressionismus eine neue Objektivität entgegen.
Die Pop Art folgt der konzeptionellen und intellektuellen Klarheit der unpersönlichen Darstellung. Die Künstler spiegeln die Außenwelt wider als Zeichen des Gelebten. Die expressionistische, spontane und planlose Durchmischung der Farb- und Formenwelt wird durch eine formale Klarheit der kompositorischen Zusammenhänge abgelöst. Inhaltliche Bedeutungsebenen folgen nun materiellen Aspekten als Darstellungsinhalt und Darstellungsmittel. Zentrale Strategie bleibt dabei der Realismus, die Intellektualität und die Konzeption.



Literatur:
Tilman, Osterwold, Pop Art, New York – London (1999).

10
Jan
2009

RADICAL CINEMA - DIRECT CINEMA

RADICAL CINEMA vs. DIRECT CINEMA

Anknüpfend an den letzten Beitrag soll einleitend noch einmal kurz erläutert werden, dass sich das Radical Cinema Ende der 60er Jahre parallel aus dem Direct Cinema hervorging und vornehmlich von linken Intellektuellen getragen wurde, die politischen Gruppierungen wie der Studentenbewegung nahe standen und sich im Zuge der wachsenden Unzufriedenheit über die Berichterstattung der politischen Ereignisse formierten – vor allem gegenüber dem Fernsehen, dass in seiner Berichterstattung zunehmend auf visuelle Effekte abzielte und die politische „Botschaft“ bisweilen verwischte.
Vor allem die politisch brisanten Themen wie der Vietnamkrieg, die Bürgerrechts-, Antikriegs- und Studentenbewegung wurden von den Medien unzureichend, verzerrt oder gar nicht dokumentiert und drohten die Bewegung mit dem Stigma des politischen, ideologischen Gegners zu belegen.
So wuchs das Bedürfnis und die Bereitschaft nach Schaffung einer Gegenöffentlichkeit und alternativer Kommunikationsformen, die das Geschehen unverfälscht und authentisch wiedergeben und zum politischen Widerstand aufrufen sollten.
In der Folge wurden eine Reihe von politischen Agitations- und Dokumentationsfilmen produziert, die inhaltliche Aspekte nun in den Vordergrund stellten. Damit einher ging das Bedürfnis nach einer Weiterentwicklung des Dokumentarfilms einher, der anders als bei den Vertretern des Direct Cinema, die den beobachtenden Ansatz vertraten, wohingegen die Formensprache des Radical Cinema nun aktiv in den politischen Bewusstseinsbildungsprozess eingreifen wollte. Von daher operierten die Vertreter des Radical Cinema zwar mit den technischen Mitteln des Direct Cinema, verfolgten jedoch im Ansatz ein anderes politisches und filmästhetisches Konzept. Das Radical Cinema mischte Archivmaterial, Interviews und die asynchrone Bild- / Tonmontage.
Trotz des gemeinsamen Anspruch, Gegenöffentlichkeit herzustellen, verstanden sich die Filmemacher des Radical Cinema teilweise als Gegenströmung zum Direct Cinema, vor allem durch den unterschiedlichen Ansatz in der Verwendung filmischer Mittel und des anderen inhaltlichen Anspruchs der politischen Bewusstseinsbildung.
Charakteristisch ist, dass die Produzenten des Radical Cinema anfänglich hauptsächlich konkrete Ereignisse filmten, wie Anti-Kriegs-Demonstrationen, Campus – Streiks oder Hausbesetzungen und erst später dann eher themenorientierte Inhalte verfolgten, wie die Probleme von Immigranten, die Situation in den Gefängnissen, die Unterdrückung der Frau und die Kolonialisierung der Entwicklungsländer.
Die Filme der Radical Cinema Vertreter dienten als Werkzeug im politischen Kampf und als Informationsmittel zwischen den verschiedenen politischen Gruppen. Dementsprechend fehlte auch Namensangaben der Filmemacher im Vor- und Nachspann. Der Film sollte die gemeinschaftliche Produktion eines filmischen Kollektivs sein und eine bestimmte politischen Botschaft vermitteln; galt also nicht als die Arbeit eines einzelnen Künstlers.
Zielgruppe der filmischen Agitation waren alle gesellschaftliche Gruppen, die politische, strukturelle und kulturelle Veränderungen herbeiführen wollten – also vor allem Studenten und Bürgerrechts- und Friedensbewegungen.
Die agitatorische Funktion bestimmte zumindest noch anfänglich das ästhetische Konzept. So arbeiteten die Filmemacher häufig mit Schwarz / Weiß – Bildern und die zum Teil verwackelte Kamerabewegungen, die eine verwaschene Qualität erzeugten und durch den bewusst unprofessionellen Schnitt unterstrichen wurde. Nicht selten wurden zusätzlich einzelne Szenen in mehreren Produktionen verwendet.
Unterlegt waren die Film mit Pop – Musik und Protest – Songs, die sowohl die emotionalisierte Wirkung der Filme wie die filmische Visualisierung der Gegenkultur verstärkten.
Gerade diese agitatorische und emotionalisierende Wirkung des Radical Cinema sollte die politische Diskussionen auslösen und den Bewusstseinsbildungsprozess fördern. Alle in den 60er Jahren gedrehten Filme wiesen eine starke Polarisierungstendenz auf, ...“wie sie für die politische Rhetorik und das Weltbild der Neuen Linken zu dieser Zeit typisch waren. Bilder, die die Brutalität und die repressiven Taktiken eines korrupten Gesellschaftssystems, insbesondere gegenüber Minoritäten und Andersdenkenden, symbolhaft zum Ausdruck bringen sollen, kontrastieren mit Szenen des Widerstands, Aktivitäten der Protestbewegung und Interviews mit ihren führenden Vertretern. Da die Filme sich in erster Linie an die ‚bereits Bekehrten’ richteten, war es weniger ihre Absicht, das Publikum zu überzeugen und zu bekehren, vielmehr diente ihre ‚propaganda of confrontation’ und ihr ‚tone of moral outrage’ dazu, eine schon für die Sache gewonnene Gemeinde zum politischen Handeln zu motivieren.“

Literatur:

Mo Beyerle, Christine N. Brinckmann (Hg.), Der amerikanische Dokumentarfilm der 60er Jahre, Direct Cinema und Radical Cinema, Campus Forschung, Bd. 659, Ffm / NY (1991).

Fußnoten:
1/Vgl. Mo Beyerle, Der amerikanische Dokumentarfilm der 60er Jahre, S. 41, 2.Absatz.
2/Vgl. Mo Beyerle, Der amerikanische Dokumentarfilm der 60er Jahre, S. 43, oben.
3/Mo Beyerle, Der amerikanische Dokumentarfilm der 60er Jahre, S. 44, 2. Absatz.

6
Jan
2009

Der Dokumentarfilm der 60er Jahre - Direct Cinema und Radical Cinema

Der Dokumentarfilm der 60iger Jahre – Direct Cinema und Radical Cinema

Der Dokumentarfilm revitalisierte sowohl in technischer, methodischer wie auch ideologischer Hinsicht neuen Schwung, Unabhängigkeit und klare Zielsetzungen für eine Epoche, die geprägt war von sozialen Polarisierungen, politischen Demonstrationen, medienbewusstem „Narzissmus“, einer Selbstdarstellung der Alltagskultur, politischen Umschwüngen und Strömungen und der Fernsehaufbereitung der „Wirklichkeit“.

Zugleich profitierte der Dokumentarfilm von dieser Situation, wurde dadurch vorangetrieben und weiter entwickelt . Die filmische Verarbeitung der sozialen Realität, das konfrontative Weiterdenken und das Herausarbeiten der Prozesse und Probleme wurden vom Dokumentarfilm der 60iger Jahre präzisiert und systematisch betrieben.

Daher bildete der Dokumentarfilm für dieses Jahrzehnt eine ergiebige Quelle, da er mit einer eigenen Tradition und eigenen rhetorischen Mitteln arbeitete. Aus diesem Grund und durch seinen Anschauungscharakter unterschied er sich von der journalistischen Reportage und der filmischen Darstellung. Mit der Dokumentation der politischen Kultur, fokussierte er das Klima der Zeit und den Ton, die non – verbalen gestischen Codes und das Verhalten der sozialen Bewegungen, verschiedener Gesellschaftsschichten – des Establishment und der Subkultur. Oder sie verdeutlichten die Imagepflege von Politikern, das Selbstverständnis der Polizei oder Hippies, die Funktion der Ausbildung und Erziehung im Alltag, das Selbstbewusstsein und die Mittel der amerikanischen Minoritäten.

Mit dem »beobachtenden Modus« des um 1960 sich entwickelnden Direct Cinema und seines französischen Pendants, des Cinéma Vérité, der auf der Basis einer neuen, beweglicheren
Kameratechnik und Synchrontontechnologie operierte, etablierte sich zugleich eine neuartige Produktionsästhetik der »Unmittelbarkeit« bei weitest gehender Zurückdrängung eines Kommentars. Das filmische Versprechen – die wahrnehmende Teilhabe wurde gleichbedeutend mit der Teilhabe an einer in der Dokumentation aufgehobenen Realität. Dabei schrumpfte der erkenntniskritische Abstand zwischen der Welt und ihrem Bild mit dem Direct Cinema auf Null.
Der interaktive Dokumentarfilm der 60er Jahre, der sich vor allem auf Interviews nach der Methode der „Oral History“ stützte, in denen die Befragten vorzugsweise aus sozialen Randgruppen Gelegenheit erhielten, ihre „Geschichte“ vor der Kamera öffentlich zu erzählen, verstärkte mit der Möglichkeit der direkten Zuschauer-Teilhabe - den vom Direct Cinema
intendierten Effekt einer unmittelbaren Wahrnehmung authentischer Wirklichkeit.
Im Verlauf der 60iger Jahre entwickelte sich das amerikanische Direct oder uncontrolled Cinema zu einer einflussreichen filmischen Bewegung.

Eine wichtige Funktion übernahm dabei die Montage, die idealerweise der natürlichen Chronologie der Ereignisse folgen sollte. War dies nicht möglich oder wenig sinnvoll, „schnitt“ man das Filmmaterial derart, dass eine tatsächlicher Ablauf suggeriert wurde, da es vornehmlich um die Glaubwürdigkeit des Gezeigten ging. Ein weiterer Aspekt dabei war der unbedingte Objektivitätsanspruch. (siehe Beitrag: „Konzertfilme und Popularfilme“ – Direct Cinema von November 08)

Parallel zum Direct Cinema entwickelte sich gegen Ende der 60er Jahre die dokumentarische Strömung des Radical Cinema, die von politischen Gruppierungen, die der Studentenbewegung nahe standen oder aus ihr hervorgegangen waren, von linken Intellektuellen getragen wurde und nun in erster Linie über das Medium Film aktiv in den politischen Bewusstseinsbildungsprozess eingreifen wollte.
Trotz des gemeinsamen Anspruchs – der Direct Cinema und der Radical Cinema Produzenten – Gegenöffentlichkeit herzustellen, unterschieden sich die politischen und ästhetischen Standpunkte der einzelnen Filmemacher des Radical Cinema und damit auch die Stoßrichtung ihrer Filme zum Teil erheblich. Dies spiegelte sich auch im unterschiedlichen Einsatz der ihnen zur Verfügung stehenden filmischen Mittel und den inhaltlichen Aspekten wider.

Fortsetzung im nächsten Beitrag: Radical Cinema.

Literatur: Mo, Beyerle, Christine N., Brinckmann (Hg.), Der amerikanische Dokumentarfilm der 60er Jahre, Direct Cinema und Radical Cinema, Campus Forschung, Band 659, Frankfurt am Main / New York (1991).

27
Dez
2008

Bilderflut und Lesewut

Bilderflut und Lesewut – Die imaginären Welten der Achtundsechziger

Der Umbruch der Kommunikationsverhältnisse veränderte die Wahrnehmungsweisen der 68´ Generation und prägte zunehmend die Erfahrungsverarbeitung der Rezipienten durch die audiovisuelle, massenmediale TV – Wahrnehmung, die Welt – Bilder produzierte und eine globalisierte Welt entstehen ließ und obendrein Plattform einer Generation wurde – frei nach dem Motto: „Mit den Medien, gegen die Medien, vor den Medien“.
Dieser globalisierte Wahrnehmungseffekt und Transformationsprozess für Nachrichten, Bilder und Ereignisse machte eine weltweite Medienrevolte möglich – exemplarisch dafür sind die sozialen Bewegungen, die überall die gleichen Protestformen, wie „Sit – Ins“ oder „Happenings“ anwandten. Ein anderes Beispiel ist das Auftreten der politischen Akteure wie Che Guevara, Rudi Dutschke, Chruschtschow und Fidel Castro, die hinsichtlich ihrer Talkshowkompatibilität eine bereits perfektionierte und personalisierte Form der politischen Inszenierung beherrschten und bewusst mit „habituelle Wahrnehmungscodes“ brachen (in Form der Kleidung, des Auftritts uvm.).
Mit Verankerung des Mediums Fernsehens im täglichen Bewusstsein und in der Privatsphäre konstituierte sich eine neue Form der Kommunikation und Öffentlichkeit, die durch das Ereignis der simultanen Teilhabe und des „Live“ – Dabei seins, eine weltweite „Fernsehgemeinde“ vorgab und einen Integrationsprozess beschleunigte, indem man Erfahrungen teilte und vermittelt erlebte. Damit einhergehend gewann der Zuschauer den Eindruck des permanenten auf dem Laufenden sein. Die Vernetzung und Veränderung der Informationsvermittlung führte zu einem veränderten Bewusstsein, dass unter anderem auch manipulierbar war (eigentl. „ist“), da nun die vermittelten Bilder unabhängig vom Kommentar eine Botschaft vermitteln konnten.
Damit bot das Fernsehen konkretes Anschauungsmaterial und entwickelte eine eigene Dynamik und Sprengkraft, die in ihrer Wirkung nicht selten polarisierte und politisierte – wie im Fall der Live – Fernsehbilder des Vietnamkrieges, der Bilderflut von endlosen Reihen von Toten, Gefangenen und Verletzten.
Die 68er Generation war die erste globale Generation, die eine gemeinsame, länderübergreifende Symbolik fand und übergreifende Bild- und Sprachzeichen entwickelte, die aus einer Verknüpfung von kognitiver Wahrnehmung und technischem Medium erwuchs und subjektiv den Erfahrungshorizont ausweitete, der nun Einzug in das alltägliche, familiäre und gewohnte Milieu hielt. Damit übernahm das Fernsehen die Rolle als „Fenster zur Welt“ und erlaubte dem Zuschauer sich in der Welt zu bewegen und die vermeintliche „Wirklichkeit“ zu betrachten, die präpariert, inszeniert und übertragen wurde, als „verordnete“ Kultur.
Dies führte dazu, dass eine Kultur, die aufgrund ihrer Schriftkultur gewisse Denkräume ursprünglich imaginär reproduzierte, nun abgelöst wurde von einer Einbildungskraft, deren Imagination nun von technisch reproduzierten, weltweiten Bildern besetzt worden war und sich in ein kollektives Gedächtnis eingruben. Folglich handelte es sich bei der Symbolwelt der 68er Generation nicht nur um eine imaginäre ( Kritische Theorie der Neuen Linken, Banner, Poster, Plakate, Flyer und Graffiti) , sondern bereits um eine virtuelle Kultur (symbolisch inszenierte, mediale Protestformen ), die nun wiederum beide medial vermittelt wurden. Demnach finden sich folgende Zugänge zum Verständnis der 68er Generation: Kulturelle Brüche im Hinblick auf das habituelle Wertesystem und der damit einhergehende Übergang zu neuen Kommunikationsformen, die Entstehung einer globalen Wahrnehmung der Ereignisse im Sinne eines „global village“ und die damit einhergehende Beschleunigung und Verdichtung der Wahrnehmung und der daraus resultierende, dezidierte Einschnitt in die Wahrnehmungskultur.

Literatur

Rainer Rosenberg, Inge Münz-Koenen, Petra Boden (Hg.), Der Geist der Unruhe, 1968 im Vergleich Wissenschaft – Literatur – Medien, Berlin (2000).

21
Dez
2008

Protestkultur und Massenmedien

Die Symbolik der Protestcodes und ihre Wirkung auf die Massenmedien - vor dem Hintergrund der Studenten-, Bürgerrechts- und Friedensbewegung als Protestkulturen der 1960iger Jahre


Kleidercodes als hedonistischer Selbstverwirklichungsstil

Die unterschiedlichen expressiven Kleiderstile der verschiedenen Subkulturen sind Formen eines kommunikativen „Codes“, hinsichtlich der Kleidung, eine Absage an das konservative Bürgertum und die Repräsentationskultur der Massenmode. Es ist der Code des skeptischen Verweigerungsstils. An die Stelle der Stangenwaren des Massenkonsums treten schrille, expressive und kreative Stile und bunte, selbstgemachte Mode, die Individualität und Authentizität ausdrücken sollen.
Hinzu kommen lange, wilde (auch ungewaschene) Haare und selbstdefinierte körperliche Haltungen, wie z.B. das Einnehmen einer bequemen und entspannten Körperhaltung und das demonstrative auf dem Boden sitzen oder liegen, die sich an in neune Lebensmodellen und Formen des Zusammenlebens ausdrücken – den Kommunen.

Expressive Körpercodes als Botschaft des politischen und öffentlichen Protests

Erstmals werden etablierte kulturelle Werte, Lebensformen und emotionale Verhaltensmuster zur Disposition gestellt, die in provokativer öffentlicher Repräsentation und der Strategie der symbolischen Vereinnahmung und Besetzung des öffentlichen Raumes mit expressiven Codes der „begrenzten Regelverletzung“, des „zivilen Ungehorsams“ und „Tabubrüchen“ mit „Happenings“, „Sit-ins“, „Go-ins“, „Teach-ins“ also inszenierten Aktionen, Sitzstreiks und Blockaden zum Ausdruck kommen und bald zum integralen Bestandteil einer Öffentlichkeitsstrategie werden, wie auch die Demonstrationen, Kampagnen oder Versammlungen, die in die symbolische Ordnung des öffentlichen Raumes eingreifen.

Während der Demonstrationen, die zur maßgeblichen Form der politischen Willensartikulation werden, inszenieren sich die Protestierenden als symbolische Kollektivkörper und setzen die statischen und hierarchischen Ordnungsregeln außer Kraft.

Damit provozieren die Protestbewegungen bewusst das etablierte Wertesystem der Mehrheit und setzen dem Wertesystem visuell-symbolische Protestformen gegenüber und ziehen damit unweigerlich die Aufmerksamkeit der Massenmedien auf sich, die sich zum entscheidenden Multiplikator der expressiven Kommunikationsstrategien entwickeln, da sie auf eine neue Form der audio-visuellen und emotionalisierten Form der Vermittlung in der Berichterstattung – also das Spektakuläre und Ereignishaft – abzielen. Die Medien entwickeln sich dabei zum wichtigsten Allianzpartner der Bewegungen, die wiederum umgekehrt die Medien programmatisch nutzen:
Einerseits instrumentell, um Öffentlichkeit zu erzeugen und Druck auf die politischen Entscheidungsträger auszuüben, andererseits expressiv, als Inszenierung neuer Protestformen und „sichtbaren“ Regelverstößen in visueller Darstellung in Form einer körperlichen Mobilmachung.

Die Massenmedien in den 1960iger Jahren Differenzierung des Fernsehens

Anfang der 1960iger tritt eine Differenzierung der Programme in Rundfunk und Fernsehen ein. Hinzu kommt die Professionalisierung und Verbesserung spezifischer Arbeitsbereiche, wie der Bildregie, Kameratechnik, des Schnitts und der Ausstattung. Es folgt die Durchsetzung der MAZ – Technik und die Einführung des Farbfernsehens. Zu diesem Zeitpunkt entdeckt das Fernsehen neue Formen des Dokumentarismus und eigene Formen der Visualität und Ästhetik. Das „LIVE – Prinzip“ und die inszenierte, simultane Teilhabe an Ereignissen setzen sich durch. Es erfolgt die Ausrichtung auf audio – visuelle und emotionalisierte Formen der Vermittlung. Zusätzlich „globalisiert“ sich die Wahrnehmung mit dem Vietnamkrieg, dem ersten Krieg im Fernsehen – live und in Farbe.

Die Medien schreiben sich damit als kulturelle Deutungsinstanzen bereits zu Beginn in die Entstehungsgeschichte der Protestbewegungen in den 1960iger Jahren ein. Schon damals erkennen sie den medialen Ereignischarakter symbolischer Protestformen wie „Happenings“ und „Sit-Ins“, expressiver Kleidercodes, sowie von polarisierenden Bildern.

Mit kanonischen Fotos und Fernsehmitschnitten von Straßenkämpfen, Demonstrationen und Tabubrüchen aller Art, mit Rocksound unterlegt, werden die 1960er Jahre von den Medien als inszeniertes Ereignis und als herausragendes Moment stilisiert.


Literatur:
Klimke, Martin, Scharloth, Joachim (Hrsg.), Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte der Studentenbewegung, Bonn(2008).

12
Dez
2008

Semiotik der Kleidung

Semiotik der Kleidung und ihre ( inter- ) kulturelle Dimension

RELATION ZWISCHEN KULTUR UND SEMIOTIK

Kultur ist das Muster einer Sinngebung, in dessen Rahmen Menschen ihre Erfahrungen deuten und ihr Handeln lenken. Im Laufe der Zeit nehmen die gewohnten Interaktionen innerhalb von Gemeinschaften vertraute Formen und Strukturen an, was wir die Organisation des Sinns nennen. Diese Strukturen werden den Situationen nach angelegt, mit denen Menschen konfrontiert sind, und werden nicht durch die Situation selber bestimmt.
Die verschieden Schichten reagieren nicht unabhängig voneinander, sondern stehen in Wechselwirkung.
Die Semiotik untersucht alle kulturellen Prozesse als Kommunikationsprozesse. Ihre Absicht ist es, zu zeigen, wie den kulturellen Prozessen Systeme zugrunde liegen. Die Dialektik von System und Prozess führt zur Aufstellung der Dialektik von Code und Botschaft.
Das als kulturell bezeichnete menschliche Verhalten erfolgt als Reaktion auf Symbole. Der Mensch ist fähig, Symbole zu verwenden, wenn eine Übereinkunft über ihre Bedeutung erreicht worden ist. Die Bedeutung von Symbolen wird erlernt, das heißt, der Mensch eignet sie sich durch die Prozesse der Sozialisation und der Enkulturation an. Bekleidungsstücke sind Symbole, deren Bedeutung im Laufe der Sozialisation erlernt wird.
Im Hinblick auf den Bedeutungscharakter der Kleidung fungiert in erster Linie die Mode als entscheidender Faktor. Sie spiegelt die aktuellen gesellschaftlichen Normen und Werte in der Kleidung wider und bestimmt, erweitert oder verändert deren Bedeutungsgehalt.

DIE KLEIDER-SYMBOLIK DER (JUGENDLICHEN) SUBKULTUR

Mode als Symbol bietet im Rahmen sozial gebilligter Möglichkeiten ein einzigartiges Mittel der Differenzierung von der Masse. Die Symbolik der Subkultur-Stile HAT keine Botschaft, sie IST die Botschaft, bedeutet Abgrenzung ( Kritik ) und Zugehörigkeit ( Schutz ) zugleich. Durch die Übernahme spezifischer Gruppensymbole tritt das Individuum nicht als Einzelner, sondern als Repräsentant eben dieser Gruppe auf, grenzt sich dadurch von anderen ab und kann durch sein äußeres Erscheinungsbild bestimmte Wertorientierungen darstellen.
Bereits äußerliche, modische Abweichungen genügen, um Menschen zu aggressiven Haltungen zu provozieren.
In den 1960er Jahren wird der elitäre Charakter der Mode von den, durch
die Jugend etablierten, “Looks” abgelöst. Bezeichnend für diese Entwicklung ist es, dass selbst Anti-Modebewegungen, wie die der Hippies, als “Look“ durch die Modeindustrie aufgegriffen werden. In der Konsequenz steht der Konsum als Ersatz für das selbstgestaltete Leben.

JEANS UND HOSENANZUG SIND LEBENSSTILE

Zwei Kleidungsstücke versuchen in den 1960 Jahren die Unterschiede zwischen Mann und Frau zu „bearbeiten“: Die Jeans und der Hosenanzug, die alle „gleich“ machen sollen, wobei die Jeans „Protest-Look“ und der Hosenanzug eine bürgerliche Kreuzung von Jeans und Rock darstellt.
Auf der anderen Seite werden die Röcke immer kürzer. Mary Quant erfindet neben dem „Minirock“ auch das „Minikleid“ (1959 /60), den sog. „Hänger“, der nicht figurbetont ist und wie Umstandskleidung vom Körper „absteht“. Obwohl sich bald darauf der „Mini“ endgültig durchsetzt, sind die Rocklängen im weiteren Verlauf des Jahrzehnts bis weit in die 70iger Jahre nur noch dem Anlass entsprechend festgelegt, die Rocklänge wird also dem Anlass entsprechend „angepasst“. Mit den Rockvarianten erobern die Nylon-Strumpfhosen in allen möglichen Varianten blitzschnell den Markt, die nun Strümpfe und Strumpfhalter ablösen.
Wie oben bereits erwähnt, übernimmt die Modeindustrie schnell die Ästhetik der Kleider-Codes, wie z.B. den Mao Look oder den „Hippie-Gammler-Look“ und kommerzialisiert diese expressionistischen Modelooks der jungen (revolutionären) Subkultur oder Jugendkultur.
Mit diesen Kleidercodes versucht sich die Jugend- und Subkultur von konventionellen Kleidungsstilen abzuheben, die eine Art Selbstvergewisserung der Gruppe darstellen und dadurch auch zusätzlich die äußerliche Zusammengehörigkeit demonstriert. Im Umkehrschluss markieren die verschiedenen Kleider-Codes die Konfliktlinien der Gesellschaft.
Fortsetzung folgt......mehr Mode......

Literatur:
Klimke, Martin, Scharloth, Joachim (Hrsg.), 1968, Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte der Studentenbewegung, Bonn (2008).
ECO, Umberto, Einführung in die Semiotik, München (1988).
BAACKE, Dieter, Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung, Leverkusen (1988).

4
Dez
2008

Konzertfilm und Popular Music

Konzertfilm und Popular Music – Das Direct Cinema

In den frühen 60iger Jahren bildet sich ein neuer Stil in der filmischen Darstellung des etablierten Genre der Konzertfilme heraus – das Direct Cinema, dass nicht mehr nur auf die „perfekte“ Bilddokumentation abzielt, sondern die „Direktheit der Bilder“ fokussiert. Dabei stellt es die Persönlichkeit des Leadsängers in den Vordergrund.

Alan Pennebaker, ein Dokumentarfilmer, ist Anfang der 60iger Jahre einer der prominentesten Vertreter des „neuen“ Direct Cinema und hatte bereits eine Konzerttour von Bob Dylan nach England (1965) „dokumentiert“. Dieser sog. „Rockumentary“ mit dem Titel „Don´t Look Back“ initiiert die neue mediale bzw. filmische Repräsentationsform innerhalb des dokumentarischen und biographischen Films.
Bis zu diesem Zeitpunkt ist der biographische Film das zentrale Element des Dokumentarfilms. Während der biographische Film traditionell versucht die private Sphäre des Dokumentierten auf die gesellschaftliche Öffentlichkeit zu beziehen, entwickelt das Direct Cinema nun mithilfe neuer Filmtechniken und einer neuen Form der Repräsentation, „direkte Bilder“, die auf eine neuartige Weise filmisch dokumentiert werden. Die bis dahin vorherrschende Form des Dokumentarfilms ist der sogenannte „Erklärdokumentarismus“.

Je nach Ansatz entwickeln sich vor allem folgende Richtungen: das Direct Cinema in den USA, das Cinéma Vérité in Frankreich. Während das amerikanische Direct Cinema versucht, reales Geschehen aufzuzeichnen, ohne darauf in irgendeiner Weise Einfluss zu nehmen, nämlich „life as it is“ zu filmen, verfolgt das französische Cinéma Vérité diesen Anspruch nicht, sondern versucht im Gegenteil mit den gefilmten Personen in Kontakt zu treten und dadurch eine offene Interaktion zwischen Filmemacher und den sozialen Akteuren entstehen zu lassen oder sogar die Situationen zu provozieren.

Neue Technik

Die neue Filmausrüstung setzt sich aus einer ganzen Reihe von technischen Erfindungen zusammen: den extrem leisen 16mm-Handkameras, die nun ohne sperriges Schutzgehäuse verwendet werden kann (Steady Cam), dem schweizer Tonbandgerät NAGRA, neuem hochempfindlichen Filmmaterial, das Aufnahmen ohne künstliches Licht ermöglicht, sowie dem Zoomobjektiv, das schnelle Ausschnittänderungen ohne zeitaufwendiges Objektivwechseln erlaubt.

Besonders Dokumentarfilmer profitieren von dieser Neuerung, da es nun möglich ist, in einer bis dahin ungekannten Flexibilität und Schnelligkeit auf das zu Filmende zu reagieren.
Die neuen Kameraausrüstungen ermöglichen die radikale Veränderungen in den
Aufnahmemethoden.

Konzept und zentraler Ansatz

Der zentrale Ansatz besteht also darin, in der filmischen Narration einen neuen Stil zu realisieren, indem man im Experimentieren eine „außerfilmische Authentizität“ und „subjektive Beteiligung“ (vgl. R. Reichert in: Rebellische Musik, M. Leniger (Hg.)) kohärent stilisieren. Man versucht das Soziale zu erzählen, ohne die filmische Repräsentation durch die Kamerapräsenz oder einen Kommentar im Voice Over zu stören. Die dargestellten Bilder werden mit Originalton unterlegt. Die Narration soll auf einen „natürlichen Höhepunkt“ zulaufen, dass sich sozusagen aus dem Erzählten selbst erschließt und einem Handlungsbogen, der in einem finalen Abschluss kulminiert. Ohne das durch die Darstellung führende Voice Over oder den dokumentarischen Kommentar, wird der Voyeurismus des Zuschauers geradezu Politikum der filmischen Repräsentation; Partizipation und ästhetisches und authentische Erlebnis. Die Partizipation des Publikums ist also erstmals zentraler Bestandteil der Dokumentation (vgl. R. Reichert in: Rebellische Musik, M. Leniger (Hg.)).

Zusätzlich zu der neuen Technik, der handlichen und tragbaren Kamera, die vor Ort das unmittelbar Geschehene festhalten kann, kommt der Anspruch, die Narration und die gezeigte Dokumentation so abzudrehen, „wie sie ist“ und die Anzahl der Schnitte (Cuts) innerhalb der Szenen so gering wie möglich zu halten, um den Handlungsfluss aufrechtzuerhalten. Weiterhin setzt man auf ein Minimum an Regie - die Geschehnisse, sowohl die zur Handlung gehörenden, wie auch die sich zufällig ergebenden, abzubilden, wie sie sich ereignen.

Konzertfilme

Don´t Look Back ist der erste Musikfilm (vgl. R. Reichert in: Rebellische Musik, M. Leniger (Hg.). Weitere Filme, die u.a. von Pennebaker produziert werden sind 1968 Monterey Pop, 1970 Woodstock und 1970 Gimme Shelter mit den Rolling Stones.
Dabei soll vermittels der Kameraeinstellung, Kameraführung und der Montage und Bildkomposition ein enges Zusammenspiel zwischen Sänger, der Band und dem Publikum des Konzertes erzeugt werden soll, in Form der Mobilisierung des Konzertpublikums bzw. dessen direkte Einbeziehung, wobei der Sänger als entweder „Protestsänger“, „Missionar“, „Poet einer Gegenkultur“ oder „Enfant terrible“ dargestellt ist und als Hauptfigur fungiert (vgl. R. Reichert in: Rebellische Musik, M. Leniger (Hg.).
Filmische und ästhetisch inszenierte Filmsequenzen sind mit „close-ups“, „over-the-sholder“ und Zoom verstärkt und umgesetzt. Dabei folgt die Umsetzung auch der für die Popkultur typischen Kommunikationsform des Körpers, abgesehen vom Genre immanenten Klang.
Was nun im Genre Konzertfilm unter dem Stichwort „uncontrolled cinema“ dargestellt wird, nämlich die unvermittelte Darstellung des Geschehens und der spontanen Ereignisse einzufangen, bewahrheitet sich nun während des Drehs zu Gimme Shelter auf eine zynische Art und Weise.
Nicht nur, dass der Film nach dem Mord in die Situation am Schneidetisch springt (extradiegetisch) und Mick Jagger zeigt, der die Szene immer wieder zurückspult, sondern auch die Tatsache, dass der Film nun, indem er einen Mord dokumentiert, wird das filmisches Dokument, Gegenstand realer polizeilicher Ermittlung. Gimme Shelter „funktioniert“ als reales Beweismittel in einem Mordfall, eine eigentlich gewollte filmische Strategie – die Dokumentation authentifizierter Wirklichkeit zu dokumentierten ist nun ungewolltes authentisches Evidenzmittel.
Die filmische Strategie der unvermittelten Direktheit der Bilder – „life as it is“ geht geradezu in der tatsächlichen Realität der Darstellung einer außerfilmischen Authentizität auf.
Zynisch und ungewollt erhält die Dokumentation von Altamont auch eine kulminierten Höhepunkt, der sich ohne eines Kommentars bedürfend, aus der Handlung selbst ergibt („Narration“ bis hin zu einem „ natürlichen Höhepunkt“).


Nachtrag für den Blog vom 30.11.08:
Literaturnachweis: Edda Holl, Die Konstellation Pop. Theorie eines kulturellen Phänomens der 60er Jahre, herausgegeben von den Instituten für Theater und Medienwissenschaft der Universität Hildesheim, Medien und Theater, Band 4 (1996).

Literaturnachweis für diesen Beitrag:
Ramón Reichert, Direct Cinema, Konzertfilm und Popular Music, in: Arnold Jacobshagen, Markus Leniger (Hg.), Rebellische Musik, Gesellschaftlicher Protest und kultureller Wandel um 1968. Musicolonia, Band 1 (2007).
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